Danuta

Wenn man älter wird, werden Kindheitserinnerungen wach. Noch wacher und wichtiger als zuvor. Danuta ist vor dem 2. Weltkrieg im polnischen Lemberg geboren, in einer deutsch-polnischen Familie. Beide Sprachen, Polnisch und Deutsch, waren ihre Heimat. Dann kamen die Kriegsjahre und die Vertreibung. Sie kam zuerst nach Brandenburg, dann nach Berlin. Seit langem lebt sie in Berlin, in Pankow.
Wir sind uns vielleicht vor etwa 10 Jahren begegnet, so genau weiß ich das nicht mehr. Danuta fühlte sich durch das gerade initiierte SprachCafé sehr angezogen. Hier sprach sie gleich, beim Betreten der Räume, Polnisch, ohne zu zögern, jedoch bewusst seiner Unvollkommenheit. Trotzdem klang sie wie Sprache des Herzens. Danuta genoss es. Selbst für sie war es erstaunlich, dass sie es immer noch kann, denn das ganze Erwachsenenleben lang tat sie das nicht. So waren die Zeiten halt. Neugierig wurde Danuta jetzt hier gleich auf Menschen, die sich auch mit Polen verbunden fühlten, jeder auf seine Art und Weise. Ihre Herzlichkeit öffnete gleich viele Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu kommen und sich mit ihnen auszutauschen.

Die Leidenschaft zu malen führte sie einer Malgruppe, die von einem polnischen Maler angeleitet wurde. Außer wöchentlicher Malstunden, die von anregenden Gesprächen begleitet wurden, wurden zur Sommerzeit Fahrten nach Polen zu einem traumhaft schön gelegenen und bezaubernden Künstlerhaus angeboten. Trotz anfänglicher innerer Widerstände wurde Danuta von Gleichgesinnten überzeugt und fuhr doch mit, malte mit, genoss die Zeit zutiefst. Heute ist diese Zeit für Danuta zu einer außergewöhnlichen Energiequelle geworden. Die Erinnerungen an diese Tage beleben Danutas Alltag, vor allem jetzt, in der Pandemiezeit.

Durch die mehr oder weniger regelmäßigen Wiedersehen mit Danuta über die Jahre teilte ich mit ihr meine Leidenschaft zu schreiben. Die zweisprachig nebeneinander zusammengestellten kurzen Prosatexte oder auch vor allem Gedichte wirkten auf sie in meiner Wahrnehmung wie ein Magnet! Und belebten ihren und meinen Alltag. Feinfühlig kommentiere sie die Formulierungen in beiden Sprachen, gezeichnete Bilder, Rhythmen, von denen sie sich so bewegt fühlte. Mich berühre jede, wenn auch kurze, meistens ungeplante, Begegnung mit ihr.

Jetzt halte ich das Buch in der Hand – „Du duftest wie die Sonne“ – Gedichte und Fotografien von Agata Koch, zweisprachig, erschienen beim Treibgut-Verlag, und glaube irgendwie selber nicht daran. Danuta gehörte auf jeden Fall zu den Menschen, die mich über die Jahre liebevoll begleitet, inspiriert und selbstsicher angespornt haben, so dass aus den losen Zetteln mit Gedichten endlich ein Band entstanden ist, ein richtiges Buch! Dazu in keinem bescheidenen Format. Von Danuta hörte ich, Menschen würden meine Gedichte brauchen, deswegen wäre es wichtig, sie ihnen als Buch zugänglich zu machen. Ich glaube, das hat mich überzeugt: Dass es sich dabei nicht um mich und meinen vermeintlichen Zeitmangel für solche Dinge handle, sondern es handle sich um diese Menschen, die meine Gedichte bräuchten.

Danuta berichtete mir recht ausführlich von den drei Tagen, an denen sie den Gedichtband las: Sie nahm das Buch hin und wieder in die Hand, las und las, und las, und entdeckte dabei immer wieder etwas anderes, was sie berührte, sogar tief berührte, bewegte sie nachzudenken und es für sich neu zu interpretieren. Nicht „Gedichte“ sollte ich das nennen, sagte sie mir, sondern eher „kleine Meditationen“, die die Leserschaft durch Phantasieräume führen und das Leben neu kreieren lassen.
All das, was das Buch mit ihr machte, tat meinem Ego und meiner Seele natürlich gut, ich fühlte mich bestätigt und beglückt darüber, dass meine Gedichte andere Menschen erreichen und erfreuen, vielleicht sogar ähnlich intensiv wie Danuta? Ich bin mir sicher, dass die Gedichte Danutas Seele so tief berühren konnten, weil sie ihre beiden Seelen angesprochen haben: die deutsche und die polnische, die in Danutas Leben nicht wirklich zum Vorschein kommen durften und konnten, die aber existierten und sich längst schon ebenfalls Beachtung wünschten. Die Gedichte machen sie nun, in der späten Lebensphase, vollständig und dadurch erfüllt. Sie ist glücklich, dass sie jetzt die Zeit hat, darüber nachzudenken. Ein Exemplar von „Du duftest wie die Sonne“ möchte sie bald nun ihrer Enkelin schenken. Pst!

Agata Koch, Blogautorin, ist in Polen geboren, Germanistin, Sprachdozentin, Übersetzerin sowie Initiatorin und Koordinatorin des SprachCafés Polnisch als Modellkonzeptes lokaler sozialer Initiativen: www.sprachcafe-polnisch.org.
Nach Studienjahren in Leipzig zog sie 1990 nach Berlin. Seit 2000 lebt sie mit ihrer Familie zusammen im grünen Norden der Großstadt, in Pankow. Gerade hier entdeckte sie ihre Vorliebe zur Fotografie sowie zu anderen visuellen Formen neu. In ihrem kreativen Alltag wird sie auch vom dichterischen und erzählerischen Wort begleitet. Beide Sprachen betrachtet sie als Inspiration füreinander. „Begegnungen sind wichtig“ heißt das Motto der vielen gelebten Jahre in anregender Vielfalt der Kulturen, Sprachen und Generationen.

https://agakoch.wordpress.com/ Dieser Blog ist eine Ankündigung einer umfangreicheren Publikation. Austausch hierzu, Ideen und neue Anregungen sind gern willkommen!
Kontakt: a.koch@sprachcafe-polnisch.org.

s. auch Blogbeiträge 2017, 2018-2020

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